Praktische Tipps zur Umsetzung von Inklusion in der Berufsschule

Wie kann inklusiver Unterricht in der Berufsschule aussehen? Hier sind einige Erfahrungen aus der Praxis.
Frau mit Down-Syndrom arbeitet in einem Blumenladen mit Tablet
Inklusion macht Menschen glücklich. © iStock / andreswd

Bis Ende der 1990er-Jahre sprach man in Deutschland noch von „Integration“, wenn es in der Schule um die Eingliederung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung ging. Erst mit der Empfehlung der KMK „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ vom 20.10.2011 wurde die Entwicklung zu einem inklusiven Bildungssystem vollzogen. Was aber ist der Unterschied zwischen Integration und Inklusion? Und wie kann man Inklusion praktisch in der Berufsschule umsetzen?

Integration versus Inklusion

Bei der Integration wird etwas Getrenntes in ein vorhandenes Gefüge wieder eingegliedert. Sie sind dann zwar wieder zusammen, stehen aber nebeneinander. Bei der Inklusion wird das Getrennte so eingeschlossen, dass die Struktur sich den individuellen Bedürfnissen anpasst, das heißt, sie ändert sich. Die beiden Grafiken verdeutlichen den Unterschied:
 

Grafische Übersicht zum Unterschied von Inklusion und Integration
Inklusion gegenüber Integration, Soziogramm (Remix), Urheber: CellarDoor85, Lizenz: CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28909105

Mit der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) am 13.12.2006 begann die allgemeine Diskussion um Inklusion. Ziel ist es, allen Menschen – mit oder ohne Behinderung – auf der Basis gleicher Rechte ein selbstbestimmtes Leben und eine gleichberechtigte berufliche und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. So benennt Artikel 3 als Ziel „die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“. Dazu gehört auch das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung, das heißt auf gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung. Die Vertragsstaaten gewähren daher in Artikel 24 der UN-BRK ein „integratives Bildungssystem auf allen Ebenen“. Zu dem Begriff „integrativ“ ist anzumerken, dass er in der offiziellen deutschen Übersetzung für das englische Wort „inclusion“ von einigen Verbänden kritisiert wurde. In den letzten Jahren wird „inclusion“ vermehrt mit „Inklusion“ übersetzt und auch im politischen Kontext so verwendet.

Was bedeutet Inklusion in der Bildung?

Junge Menschen dürfen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden, also auch nicht vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen. Diese „inklusive Bildung“ ist besonders stark diskutiert worden. Ihre Umsetzung liegt in Deutschland bei den einzelnen Ländern und wird unterschiedlich gehandhabt. Lange Zeit wurden Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Förderschulen mit eigenen Bildungsplänen unterrichtet. Dann gab es, je nach Bundesland, verschiedene Formen des „integrativen Unterrichts“, zum Beispiel Außen- oder Kooperationsklassen oder Einzelintegration. 

In der Inklusion schließlich wird kein Schulkind mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgegrenzt, sondern alle werden in einer inklusiven Schule beschult. In den meisten Bundesländern gibt es weiterhin beide Systeme nebeneinander – Regelschule und Förderschule. Die Eltern können aber über den Lernort entscheiden, also ob ihr Kind eine allgemeine Schule/ Regelschule oder eine Förderschule besuchen soll. Auch wenn in der UN-BRK die Abschaffung von Sonderschulen nicht explizit gefordert wird, sollten doch alle Kinder in einer inklusiven Schule unterrichtet werden. Dies setzt sich in Deutschland nur mühsam durch, aufgrund allgemeiner Vorbehalte oder hoher Kosten bzw. zu geringer Ressourcen. Ein weiteres Problem ist das Aufrechterhalten parallel betriebener Schulformen. Einige Länder wie Kanada, Finnland, Italien, Frankreich und Schweden haben jedoch seit vielen Jahren sehr positive Erfahrungen mit inklusiver Bildung gemacht.

Inklusion in der Berufsschule

Auch in der Berufsschule ist natürlich inklusiver Unterricht möglich. Gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention muss jungen Menschen mit Behinderung die Teilhabe an einer Berufsausbildung und damit der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Dies bedeutet aber, dass neben Betrieben auch berufliche Schulen und außerbetriebliche Einrichtungen Ausbildungsplätze anbieten müssen. 

Damit inklusiver Unterricht an der Berufsschule realisiert werden kann, sollten bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Neben der Anpassung der Räume und Lernmaterialien brauchen die Pädagoginnen und Pädagogen auch Ressourcen und Unterstützung, um den inklusiven Unterricht vorzubereiten und alle Jugendlichen individuell fördern zu können. Ein gewisser Rahmen ist deshalb für eine inklusive Berufsschule notwendig:

  • Strukturelle Voraussetzungen: Lehrkräfte brauchen sozial- und sonderpädagogische Fachkräfte zur Unterstützung. Raumkonzepte und Lernmaterialien müssen angepasst werden. Block- und Projektunterricht sollte stärker umgesetzt werden.
  • Kulturelle Voraussetzungen: Gemäß einer gelebten Inklusion müssen sich auch Schulkulturen den individuellen Bedürfnissen anpassen, hin zu einem Selbstverständnis, dass nur gemeinsam die Lebenssituationen der Jugendlichen verbessert werden können. Dazu ist eine gewaltfreie Kommunikation, respektvoller Umgang miteinander und die Berücksichtigung anderer Sichtweisen notwendig. Schülerinnen und Schüler müssen in die Veränderungen der Strukturen mit eingebunden werden.
  • Personelle Voraussetzungen: Alle Lehr- und Fachkräfte sollten die individuellen Lernvoraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler anerkennen. Die Fähigkeit, den Förderbedarf zu diagnostizieren, ist wichtig. Lehrkräfte müssen in der Lage sein, individuelle Förderpläne zu erstellen und umzusetzen. Sie sollten in Teams arbeiten, um regelmäßiges, wertschätzendes und individuelles Feedback geben zu können. Benotungskriterien müssen transparent kommuniziert werden.

 

Wie kann aber, ganz praktisch gesehen, eine Umsetzung eines gelebten inklusiven Unterrichts in der Berufsschule aussehen? Hier sind einige Tipps und Erfahrungen aus der Praxis:

  • Sehbehinderte sollten möglichst vorne sitzen und Arbeitsblätter etc. im DIN A3 Format ausgedruckt bekommen.
  • Bei Hörgeschädigten kann ein Mikrofon eingesetzt werden und man sollte möglichst deutlich sprechen. Bei Gehörlosen könnte zeitweise ein Gebärdendolmetscher eingesetzt werden.
  • Für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer ist ein barrierefreier Zugang wichtig. Höhenverstellbare Tische erleichtern ihnen das Arbeiten.
  • Bei psychischen Auffälligkeiten wie zum Beispiel bei Autistinnen und Autisten helfen vor allem Geduld und Empathie. Hier sollte man immer wieder Gespräche und Diskussionen führen.
  • Für die Gewährung eines Nachteilsausgleichs bei einer fachärztlich belegten körperlichen Einschränkung ist zunächst die Schulpsychologin oder der Schulpsychologe und dann der Mobile Sonderpädagogische Dienst (MSD) zuständig.

 

Der Artikel „In der Mitte der Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten. Inklusion an Beruflichen Schulen“ der Staatlichen Berufsschule Bad Aibling schildert sehr anschaulich die Herausforderungen, aber auch die Erfolge eines inklusiven Unterrichts an einer Berufsschule. 

In den meisten Bundesländern gibt es Unterstützungsprogramme zum Aufbau einer inklusiven Berufsschule, zum Beispiel:

  • durch Fortbildungslehrgänge,
  • durch Beratungsgespräche,
  • durch Budgetstunden für die sonderpädagogische Arbeit in den Klassen,
  • durch den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst (MSD) und
  • durch den Aufbau eines regionalen inklusiven beruflichen Kompetenznetzwerks.

 

Aber Inklusion endet nicht beim Klassenzimmer. Sie kann zum Beispiel auch bei einem europäischen Austausch ermöglicht werden. Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung sollten auch an solchen Programmen partizipieren können. ERASMUS+ zeigt in der Broschüre „Wir nehmen alle mit“ und auf ihrer Website „Inklusion und Vielfalt“, wie diese Jugendlichen europäische Erfahrungen machen können, wozu sie bislang wenig Gelegenheit hatten.

Auch außerschulische Lernorte leisten einen Beitrag zur Inklusion. Sie können die Motivation zum Lernen, den Lebensweltbezug und die Identitätsbildung fördern. Es gibt einige außerschulische Institutionen mit langjähriger Erfahrung in Inklusion. So bietet zum Beispiel das deutschlandweite Zertifizierungssystem „Reisen für alle“ für barrierefreien Tourismus zahlreiche Museen und außerschulische Lernorte an. Ein gutes Beispiel für einen inklusiven außerschulischen Lernort ist das Zentrum für Erlebnispädagogik und Umweltbildung e.V. (ZERUM) in Ueckermünde. Das ZERUM ist ein Schullandheim und eine Jugendbildungseinrichtung mit den Schwerpunkten Erlebnispädagogik, handlungsorientierte Umweltbildung und Integration von jungen Menschen mit Beeinträchtigungen. 

Das Fazit zur Situation des inklusiven Berufsschulunterrichts in Deutschland ist, dass es in den einzelnen Bundesländern durchaus Aktionspläne gibt, aber der Weg zu einem gemeinsamen Lernen von Jugendlichen mit und ohne Behinderung noch recht weit ist. Inklusion ist nicht nur eine Verpflichtung der UN-BRK, sondern auch eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft.

Weitere Literaturhinweise zum Thema Inklusion in der Berufsschule:

 

Susanne Friz für FWU Institut für Film und Bild. Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz (außer Bild „Inklusion macht Menschen glücklich“). 

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Autor
Susanne Friz
aktualisiert
aktualisiert: 07.08.2024